FÜR EIN NEUES MITEINANDER.
Die Erwartungen des Städtetages Nordrhein-Westfalen an die neue Bundesregierung
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Präambel
Was wir meinen, wenn wir sagen: Für ein neues Miteinander von Bund, Land und Städten.
Bei den Wahlen am 23. Februar 2025 zum Deutschen Bundestag sind in NRW gut 12 Millionen Menschen wahlberechtigt, das sind mehr als ein Fünftel der deutschen Wahlberechtigten. Zudem stehen 2025 in Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen an. Sie bestimmen die politische Ausrichtung in den Städten für die nächsten fünf Jahre. Wie aber wird sich die Bundespolitik auf die Städte sind auswirken? Dafür ist die Bundestagswahl und die sich anschließende Regierungsbildung von grundlegender Bedeutung. Der Städtetag NRW will sich konstruktiv in die Bundespolitik einbringen.
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Stadt Dortmund, Roland Gorecki
Städte sind die Gestalter vor Ort. Wir erwarten Vertrauen von Bund und Land.
Wenn die Menschen den Staat handlungsfähig erleben, wenn sie sehen, dass Schulen, Kitas, Verkehrsnetze, Ämter, Energieversorgung, Sicherheit, Sport und Kultur vor Ort funktionieren, dass Wohnraum geschaffen wird und Probleme gelöst werden – dann gewinnt auch die Demokratie. Verlieren wird sie mehr und mehr, wenn die Politik vor Ort nicht mehr als Gestalter, sondern als Mangelverwalter wahrgenommen wird.
Städte wollen mitgestalten. Das können sie nur, wenn Bund und Land ihnen weitreichende Gestaltungsfreiheit belassen.
Das ist der Kern der kommunalen Selbstverwaltung. So können wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates wiedererlangen.
Bund und Land erkennen die Brisanz der Lage in den Städten nicht.
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Die kommunalen Haushalte in Nordrhein-Westfalen befinden sich in einer tiefen Krise. Kaum eine Stadt wird es 2025 noch schaffen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Die finanziellen Perspektiven der Städte sind im ganzen Land erschreckend. Unausgeglichene Haushalte, enorme Investitionsrückstände, unzureichende Infrastruktur – die wesentlichen Grundlagen für die Gestaltung vor Ort erodieren mehr und mehr.
Das ist kein selbstverschuldetes Problem der Städte, sondern ein strukturelles. Die Sozialausgaben laufen uns davon. Bund und Land weisen uns immer mehr Aufgaben zu, die bei Weitem nicht ausfinanziert sind.
Was hilft es den Bürgerinnen und Bürgern, wenn ihnen Bund und Land Leistungen versprechen, die vor Ort nicht umsetzbar sind, weil das Personal fehlt und die Finanzierung nicht sichergestellt ist?
Wenn sich nichts ändert, werden die Kommunen mehr und mehr Leistungen herunterfahren oder ganz einstellen müssen: die Buslinie, den Zuschuss für den Sportverein, die Musikschule. Die kommunale Selbstverwaltung, vom Grundgesetz garantiert, wird zur leeren Hülle. Das geht an die Substanz. So ist in NRW beispielsweise der Investitionsrückstand im Bereich Schule am höchsten.
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Wir brauchen ein neues Miteinander von Bund, Land und Städten.
Wir brauchen mehr Vertrauen der Bundespolitik und der Landespolitik in die Kommunen und in ihre Rolle als Gestalter. Städte kennen die Herausforderungen vor Ort, Städte können damit umgehen. Es braucht aber deutlich mehr Mittel und mehr Gestaltungsmacht für die Politik vor Ort.
Sämtliche Aufgaben müssen quer durch die staatlichen Ebenen ausfinanziert sein.
Und es braucht Gesetze, die praxis- und lebensnahe Politik für die Menschen ermöglichen. Die neue Regierungskoalition im Bund muss sich in ihrem Koalitionsvertrag zu einem neuen Miteinander verpflichten – welche Aufgabenteilung zwischen Bund, Land und Städten soll es geben und wie wird sie finanziert? Der Städtetag NRW sucht den konstruktiven Dialog mit der künftigen Bundesregierung – mit klaren Vorstellungen, was in den einzelnen Politikfeldern die Grundlage dieses neuen Miteinanders sein kann.
Forderungen
Was die Städte in NRW von der künftigen Bundesregierung in der neuen Legislatur erwarten.
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Finanzverteilung zwischen Bund, Land, Städten neu denken
Wir brauchen eine neue Finanzverteilung zwischen Bund, Land und Kommunen. Die Städte, die alle wichtigen Transformations- und Gestaltungsaufgaben vor Ort umsetzen, brauchen die notwendigen Mittel dafür. Neben einer Erhöhung des Verbundsatzes von Seiten des Landes müssen Bund und Länder den Städten einen höheren Anteil an den Gemeinschaftssteuern gewähren. Gleichzeitig darf es von Bund und Land keine zusätzlichen Aufgaben mehr für die Städte geben, die nicht ausfinanziert sind, je nach Aufgabe auch dynamisiert. Bund und Länder müssen ausschließen, dass ihre steuerpolitischen Entscheidungen zu Steuerausfällen auf kommunaler Ebene führen.
Die neue Bundesregierung muss die Schuldenbremse auf den Prüfstand stellen: Wenn diese Zukunftsinvestitionen verhindert, muss sie reformiert werden. Dies gilt auch für die Ausgestaltung im Land. Außerdem müssen wir Fördermittel neu denken. Mehr Vertrauen in die Städte heißt auch, besser feste Budgets für geförderte Ausgaben als komplizierte Förderprogramme, die den Städten Zeit und Ressourcen rauben. Trotz vieler Ankündigungen ist es noch immer nicht zu einer wirklichen Lösung der Altschuldenproblematik auf Bundesebene gekommen. Dabei drücken die Zinslast von rund einer Milliarde Euro die Städte in NRW besonders. Dieses Problem muss endlich gelöst werden – zu Beginn der Legislatur und dauerhaft.
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Städte bei Sozialausgaben entlasten
Viele Sozialausgaben sind vor Ort kaum zu beeinflussen. Die Kosten laufen den Städten davon. Das ist im jetzigen System auf Dauer nicht finanzierbar. Das Bundesteilhabegesetz und neue Rechtsansprüche in der Kinder- und Jugendhilfe führen zu einer finanziellen und personellen Überlastung der Städte. Das System muss verändert werden. Wir können Stand jetzt keine neuen Rechtsansprüche in der Sozialpolitik mehr umsetzen. Und wir müssen uns ehrlich fragen: Können wir den Status Quo von Standards und Leistungen halten? Die Antwort wird nicht in jedem Fall „Ja“ lauten können.
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Gesetze verbessern, Digitalisierung vorantreiben
Städte müssen sich mit einer Vielzahl komplexer Aufgaben auseinandersetzen. Dies gilt insbesondere in Nordrhein-Westfalen, wo der Kommunalisierungsgrad besonders groß ist. Die Städte kämpfen mit Personalmangel und immer neuen regulatorischen Belastungen. Viele Prozesse und Aufgaben gehören auf den Prüfstand, auch weil sie unnötig Personal binden, das für andere wichtige Aufgaben dann nicht zur Verfügung steht. Verfahren müssen vereinfacht und entbürokratisiert werden, auf allzu detaillierte Regelungen ist zu verzichten. Das schließt die Europäische Union ausdrücklich ein. Städte brauchen gute Gesetze. Wir sind es, die Entscheidungen der Bundesebene umsetzen. Praxisnahe Gesetze gibt es nur, wenn die Stimme der Städte gehört wird.
Für eine spürbare Entlastung der Städte können Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ein Schlüssel sein. Erst sie ermöglichen es, die Vielzahl der gesammelten Daten in Städten verwerten zu können. Informationssicherheit ist dabei unerlässlich und nur gemeinsam mit Bund und Ländern möglich. Aufgaben, die bundesweit einheitlich ausgestaltet werden können, müssen nicht vor Ort umgesetzt werden. Auch das kann die Städte entlasten.
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Engagement fördern, damit Ehrenamt attraktiv bleibt
Städte sind die Keimzelle der Demokratie. Hier zeigt sich, ob gesellschaftlicher Zusammenhalt gelebt wird. Hass, Hetze und Bedrohungen gegenüber Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern nehmen zu. Sie werden aufgrund ihres Engagements für das Gemeinwohl angefeindet und angegriffen. Es wird schwieriger, Menschen für das wichtige Ehrenamt in den Städten zu gewinnen. Aber auch Feuerwehrleute, Rettungskräfte und Ordnungsdienste sind zunehmend betroffen. Gerade im Jahr der Kommunalwahl in NRW gilt, dass wir gemeinsam darauf hinwirken müssen, dass Engagement vor Ort attraktiv bleibt.
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Bezahlbares Wohnen sicherstellen, Bauen erleichtern
Baukosten und Mieten entwickeln sich in vielen Städten des Landes dramatisch. Wie geht es weiter? Zerstören die Mietpreise den Zusammenhalt in den Städten? Wir erleben seit Jahren Mietsteigerungen in NRW, die sich viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr leisten können. Die Angebotsmieten im Jahr 2023 lagen bereits bei durchschnittlich 8,87 Euro. Hiervon sind insbesondere die Städte über 100.000 Einwohner und ihr Umland betroffen. Gleichzeitig laufen die Baukosten aus dem Ruder. Die Rahmenbedingungen für mehr Wohnungen in den Städten müssen verbessert werden. Es muss gelingen, den privaten und öffentlichen Bauwilligen wieder kostengünstigeren Wohnungsbau zu ermöglichen sowie bezahlbare Mieten zu sichern. Dafür braucht es ein ganzes Maßnahmenbündel – von der Mietpreisbremse über den Abbau unnötiger Regularien und Standards bis zu einer Novelle des Baugesetzbuches mit mehr Vorkaufsrechten für die Städte.
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Irreguläre Migration begrenzen, gleichzeitig Integration verbessern
Die Themen Migration und Integration hängen miteinander zusammen. Trotzdem müssen wir sie differenziert betrachten. Städte stehen zu ihrer humanitären Verantwortung, Schutzbedürftige aufzunehmen. Wer einer Stadt zugewiesen wird, für dessen Integration wollen wir sorgen. Eigentlich sollen den Kommunen aber ausschließlich Menschen zugewiesen werden, die eine Bleibeperspektive haben. Die Realität sieht oft anders aus. Es kommen auch Menschen nach Deutschland, die nicht schutzbedürftig sind. Auch sie belegen Plätze, nehmen Leistungen in Anspruch. So kommen die Städte an die Grenzen ihrer Integrationsfähigkeit. Migration braucht deshalb Ordnung.
Die neue Bundesregierung muss die Städte finanziell wie organisatorisch besser bei allen Integrationsaufgaben unterstützen. Sie muss irreguläre Migration begrenzen, europäische Abkommen wie Dublin III wieder wirksam machen, Rückführungs- und Migrationsabkommen mit Herkunftsländern vorantreiben und Schleuserkriminalität bekämpfen.
Gleichzeitig gilt: Deutschland braucht Zuwanderung von Fachkräften – auch die Städte sind dringend darauf angewiesen. Für die künftige Bundesregierung heißt das: Sie muss die Integration von Zugewanderten in den Arbeitsmarkt vereinfachen und beschleunigen.
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Stadt Münster
Sicherheit in den Städten
Der Schutz vor Anschlägen im öffentlichen Raum ist ein zentrales Anliegen der Städte. Die Frage der Sicherheit in den Städten hat eine neue Dimension erhalten. Effektive Sicherheitsmaßnahmen sind unausweichlich. Die Städte nehmen Terrorwarnungen sehr ernst und passen die Sicherheitsmaßnahmen vor Ort regelmäßig an. Die damit verbundenen Mehrkosten können nicht allein von den Veranstaltern und den Städten getragen werden. Ein neues Miteinander von Bund, Land und Städten bedeutet, dass auch diese Verantwortung eindeutig und fair zugewiesen wird. Terroranschläge richten sich gegen Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger und nicht gegen einzelne Städte oder Veranstalter. Gehen Sicherungsmaßnahmen über die übliche Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung hinaus, liegt die Verantwortung für ihre Finanzierung bei Bund und Ländern.
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Bildung dauerhaft finanzieren
Gute Bildung sichert die Teilhabe von Menschen und die Zukunft der Städte. Wer in der digitalen Welt wettbewerbsfähig sein will, muss die digitalen Bildungschancen von Jugendlichen und Kindern ausbauen. Das können die Städte nicht allein stemmen. Die neue Bundesregierung muss das Verhandlungsergebnis zum Digitalpakt 2.0 aufgreifen und seine Finanzierung zügig, verlässlich und bedarfsgerecht absichern. Wir brauchen für die Digitalisierung von Schulen eine langfristige Perspektive.
Bildungsgerechtigkeit trägt zum Zusammenhalt der Städte bei. Die bisherigen Vorschläge für eine langfristige Finanzierung des Startchancenprogramms sind umzusetzen. Zum Schuljahr 2025/2026 werden in NRW davon mehr als 900 Schulen profitieren.
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Klima schützen, Städte an Klimafolgen anpassen, ÖPNV ausbauen
Ohne Klimaschutz ist alles nichts. Der Klimawandel bedroht die Lebensqualität der Menschen und unsere Zukunft. Viele Städte haben sich deshalb ambitionierte Klimaschutzziele gesetzt. Die offene Flanke ist die Finanzierung – Transformationsaufgaben wie Energiewende, Wärmewende, Mobilitätswende und Klimaanpassung sind nicht durchfinanziert. Für diese Mammutaufgaben erwarten die Städte Planungs- und Investitionssicherheit. Der Bund ist gefordert! Bei Klimaschutz und Klimaanpassung sollte eine neue Gemeinschaftsaufgabe etabliert werden. Und wir müssen darüber reden, wie und unter welchen Bedingungen private Kapitalgeber die Transformation unterstützen können. Die öffentliche Hand allein wird die Riesensummen für die Transformation nicht stemmen können.
Transformation braucht Akzeptanz. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sehen, dass es besser wird – nicht nur teurer. Das Klimageld kann dabei helfen. Zudem wird der Emissions-handel ein zentraler Hebel sein, um Klimaschutzziele zu erreichen. Der CO2-Preis muss entsprechend ausgestaltet werden.
Bei der Mobilitätswende muss ein guter öffentlicher Personennahverkehr zum Rückgrat der Mobilität in Städten und Regionen werden. Leistung und Qualität von Bus und Bahn müssen verbessert werden. Ein Angebot wie das Deutschlandticket ist attraktiv, allein macht es den ÖPNV aber noch nicht besser. Das gelingt erst mit guten Takten, guter Vernetzung, verlässlichen Fahrplänen und modernen Fahrzeugen. Attraktiver öffentlicher Nahverkehr braucht eine dauerhafte, verlässliche Finanzierung. Dafür kann es auch erforderlich werden, neue Wege der Finanzierung zu gehen.
Die Forderungen zur Bundestagswahl in kompakter Form.
Alle Forderungen des Städtetages NRW finden Sie in der Online-Publikation "Für ein neues Miteinander. Erwartungen des Städtetages NRW an die künftige Bundesregierung".