Städtetag fordert grundlegende Reform der Schulfinanzierung
Pit Clausen, Vorsitzender des Städtetages NRW und Thomas Kufen, stellvertretender Vorsitzender des Städtetages NRW, sprechen im Interview mit der Rheinischen Post darüber, wie gut die Schulen auf den Start nach den Sommerferien vorbereitet sind. Zudem fordern sie eine grundlegende Reform des Schulgesetzes: Die Finanzierung der Schulen soll zwischen Kommunen und Land fairer aufgeteilt werden.
Rheinische Post: Herr Clausen, Herr Kufen, sind die Schulen in NRW nächste Woche auf den Start nach den Sommerferien gut vorbereitet?
Pit Clausen: Die Erfahrung vorm Sommer hat gezeigt, dass Schulen keine Hotspots der Pandemie sind. Mit guten Hygienekonzepten, Abstandhalten und Lüften haben wir eine sichere Umgebung geschaffen. Schwachpunkt ist meist aber der Mensch: Nicht alle halten sich an die Regeln.
Tomas Kufen: Die Städte haben ihre Hausaufgaben gemacht. Die Kinder stecken sich eher zu Hause an, nicht im Klassenzimmer. Wenn Eltern daran gelegen ist, dass Präsenzunterricht stattfindet, sollten sie sich folgerichtig impfen lassen.
Rheinische Post: Wie viele Luftfilter haben Sie für Kitas und Schulen auf Basis des neuen Förderprogramms schon angeschafft?
Pit Clausen: Mobile Luftreiniger allein bringen nicht viel – die beste Lösung ist immer noch Frischluftzufuhr. Wir haben uns kürzlich in Bielefeld alle Grundschulen angeschaut - und nicht einen einzigen Klassenraum gefunden, in dem die Fenster sich nicht sperrangelweit öffnen ließen. Manchmal standen einfach nur Gummibäume oder Blumen davor. Nur in Räumen, die sich nicht gut lüften lassen, können mobile Virenfilter eine sinnvolle Ergänzung sein. In Bielefeld haben wir jetzt 570 stationäre Anlagen bestellt, die auch Frischluft austauschen. Insgesamt lässt sich sagen: Wir sind viel besser auf den Schulstart vorbereitet als vor einem Jahr: Die Impfungen nehmen Fahrt auf, auch bei Kindern, wir haben Tests und weiterhin die Masken.
Thomas Kufen: In Essen erwägen wir den Einsatz der Geräte in 50 bis 100 unserer insgesamt 2.800 Klassenzimmer. 2.700 Räume lassen sich problemlos lüften, da braucht es keine Luftfilter. Aber: Das Land ist noch in der Bringschuld, klare Vorgaben zu machen, welche Geräte ab wann gefördert werden.
Rheinische Post: Arztpraxen und der Landtag haben längst Geräte angeschafft. Rührt die Skepsis von Ihrer Seite daher, dass die Geräte teuer sind und wegen langer Lieferzeiten ohnehin wohl erst in einigen Monaten angeliefert werden?
Pit Clausen: Die Luftfilter vermitteln nur subjektiv ein Mehr an Sicherheit – danach sehnen sich viele Menschen. Dass die Wirkung begrenzt ist, belegen auch Studien.
Rheinische Post: Woran mangelt es den Schulen zurzeit ansonsten?
Pit Clausen: Wir haben laut KfW einen Investitionsstau von 10 Milliarden Euro an Schulen, allein in NRW. Gleichzeitig kommen immer neue Aufgaben auf die Kommunen als Schulträger zu: Wir sollen ganztägige Betreuung und Essen in Mensen ermöglichen, Sozialarbeiter einstellen, digitale Geräte anschaffen und die Schulen so ausstatten, dass inklusiver Unterricht möglich ist. Mit anderen Worten: Schule hat sich fundamental gewandelt, aber die Aufteilung der finanziellen Lasten zwischen Land und Kommunen ist über die Jahrzehnte gleichgeblieben. Wir wollen die Schulfinanzierung künftig in Grundzügen neu regeln.
Thomas Kufen: Ja, schauen Sie sich nur die Schulgebäude an. Die sehen teilweise noch so aus wie vor 100 Jahren, wenn man sich die Einschulungsfotos der Großeltern anschaut. Die Modernisierung der Schulen ist eine gewaltige Aufgabe, an der vor allem strukturschwache Städte scheitern werden, wenn alles beim Alten bliebe. Darunter sollen vor allem die Kinder nicht leiden, das ist auch eine Frage von Chancengerechtigkeit. Es braucht daher landesweit gültige Standards für die Ausstattung der Schulen, etwa bei der Digitalisierung oder der Ganztagsbetreuung.
Rheinische Post: Und damit müsste das Land aus Ihrer Sicht auch die Kosten für die Modernisierung übernehmen…
Thomas Kufen: Richtig. Wer die Kapelle bestellt, muss sie auch bezahlen.
Pit Clausen: Es ist aber nicht nur eine Geldfrage. Immer wieder gibt es bei neuen Aufgaben Streit über die Frage, ob es sich um eine äußere Schulangelegenheit handelt, für die Kommunen aufkommen müssen. Oder um eine innere Schulangelegenheit, die das Land dann bezahlen muss.
Rheinische Post: Nennen Sie doch einmal ein Beispiel.
Pit Clausen: Nehmen Sie die Schulsozialarbeit. Einige Sozialarbeiter werden von der Stadt bezahlt, andere vom Land.
Thomas Kufen: Oder die Digitalisierung. Da hat sich zuletzt in einer Hauruckaktion auch noch der Bund eingeschaltet. Es wurden Geräte angeschafft, aber leider kommt auf 1.750 Digitalgeräte nur ein Administrator – die Folgekosten bleiben dann wieder an den Kommunen hängen. Wenn die Tablet-Computer jetzt nicht wieder in die Ecke fliegen sollen, muss das Land für ausreichenden IT-Support aufkommen. Vor allem aber muss der Umgang und Einsatz der Geräte in die Lehrerausbildung einfließen, damit es klappt.
Rheinische Post: Das klingt, als wollten Sie sich aus der Schulfinanzierung am liebsten verabschieden…
Pit Clausen: Nein, es geht nicht darum, Aufgaben abzuwälzen. Sondern um eine faire Partnerschaft.
Thomas Kufen: Es kann ja nicht sein, dass es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung geben soll, dann der Bund mit den Ländern über die Aufteilung der Aufgaben spricht – und die Kommunen sitzen am Katzentisch. Gerade uns stellt doch die Ausweitung des Ganztags vor große räumliche und personelle Herausforderungen.
Rheinische Post: Wie stellen Sie sich die Neuaufteilung der Lasten also vor?
Pit Clausen Wir haben keine fertige Lösung, das Ganze ist ein schwieriges Unterfangen. Ein erster Schritt muss die Vergabe eines Gutachtens sein, das vom Land und den Kommunalverbänden in Auftrag gegeben wird, um die Ist-Situation zu beleuchten.
Rheinische Post: Ist das eine Frage von Jahren oder von Monaten?
Thomas Kufen: Unser Ziel ist es, dass die Neuregelung der Schulfinanzierung nach der Landtagswahl im Mai nächsten Jahres in den Koalitionsvertrag der nächsten Landesregierung aufgenommen wird. Es handelt sich ohnehin um ein parteiübergreifendes Thema, wie auch die Diskussionen in anderen Bundesländern zeigen.
Die Fragen stellte Kirsten Bialdiga.
Mit freundlicher Genehmigung der Rheinischen Post.