Vorstand
Sondersitzung am 15. August 2022 zur energiepolitischen Lage
Beschluss des Vorstandes des Städtetages Nordrhein-Westfalen
- Die Krise an den Gasmärkten fordert entschlossene Maßnahmen und den Beitrag jeder und jedes Einzelnen und der Gemeinschaft. Alle Anstrengungen müssen darauf gerichtet sein, für die kommenden Winter vorzusorgen. Der Vorstand unterstützt ausdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung und der Europäischen Union, den Gas- und den Energieverbrauch insgesamt erheblich zu minimieren, die Speicher zu füllen sowie neue Energiequellen und unabhängige Importmöglichkeiten zu erschließen. Die Landesregierung ist aufgefordert, ihre energiepolitischen Ziele daran auszurichten.
- Die Energiekrise fordert ein enges und abgestimmtes Zusammenwirken aller Ebenen und Akteure. Der Vorstand regt an, rasch einen Energiegipfel des Landes einzuberufen, um die drängenden energie-, wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen zu erörtern. Sollte die Notfallstufe ausgerufen und Gas rationiert werden müssen, müssen insbesondere Kommunikation, Zuständigkeiten und Abläufe eingespielt sein. Der Vorstand hält es daher auch für dringend erforderlich, einen landeseigenen Krisenstab unter Beteiligung der Kommunen einzusetzen.
- Der Städtetag Nordrhein-Westfalen bekräftigt seine Forderung nach einem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, der Netze und der Speichermöglichkeiten. Der Vorstand hält es zugleich für notwendig, alle verantwortbaren Möglichkeiten der Energieversorgung zu nutzen, um eine Gas-Mangellage in den nächsten beiden Wintern zu vermeiden und eine Stromkrise zu verhindern. Dazu gehört in der gegenwärtigen Ausnahmesituation auch, Kohlekraftwerke befristet weiter zu betreiben bzw. wieder ans Netz zu nehmen. Es handelt sich um eine notwendige Überbrückungsmaßnahme. Die Klimaschutzziele der Bundesregierung haben weiterhin Priorität. Ob weitere Maßnahmen – wie ein zeitlich eng betriebener Streckbetrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke – notwendig sind, hängt vom Ergebnis eines zweiten Stresstests im Auftrag der Bundesregierung zur Stromversorgung ab. Eine solche Entscheidung darf den deutschen Atomausstieg nicht in Frage stellen. Alle Maßnahmen müssen strategisch ineinandergreifen. Insofern sollte kritisch geprüft werden, ob die Abfallverbrennung ab 2023 tatsächlich mit einem CO2-Preis belegt werden sollte.
- Im Mittelpunkt aller Anstrengungen muss allerdings stehen, in den kommenden Monaten Gas in Orientierung an die Berechnungen der Bundesnetzagentur in einer Größenordnung von 20 Prozent einzusparen. Der Vorstand begrüßt, dass sich auch das Land auf das Einsparziel von 20 Prozent festgelegt hat.
- Die Städte übernehmen Verantwortung für die notwendigen Einsparmaßnahmen. Dabei ist für sie klar, dass alle kommunalen Bereiche ihren Beitrag leisten müssen. Sie sehen die Landesregierung in der Pflicht, auf Landesebene Initiativen und Einsparoffensiven mit allen relevanten Akteuren zu initiieren. Viele Städte haben mit Regulierungen bei Warmwasser, Klimatechnik und Beleuchtung schon jetzt Maßnahmen auf den Weg gebracht. Die Konzentration auf die Heizperiode und der Weg der Bundesregierung sind richtig, über eine Rechtsverordnung Einsparvorgaben zu treffen. Zentral ist, die Heizun-gen richtig einzustellen, effizient zu heizen und zu lüften. Temperaturabsenkungen in Räumen, in denen sich Menschen nur über kurze Zeit aufhalten sowie unbeheizte Treppenhäuser, Flure oder Foyers sind richtige Maßnahmen. Der Vorstand betont, dass im Fall eines Gasmangels Schulen und Kitas in ihrem Betrieb nicht gefährdet werden dürfen.
- Um die gesamte Gaslieferkette funktionsfähig zu erhalten, sind die Teilverstaatlichung von Uniper und Stützungsmaßnahmen für die Unternehmen am Beginn der Lieferkette richtig. Die Gasbeschaffungsumlage kann helfen, eskalierende Preise entlang der Lieferkette zu verhindern. Liquiditätsschwierigkeiten bei den Stadtwerken kann die Umlage aber nicht gänzlich vermeiden. Der Vorstand fordert die Bundesregierung daher mit Nachdruck auf, dringend ein Insolvenzmoratorium auf den Weg zu bringen. Bund und Land müssen drohende Insolvenzen von Stadtwerken mit Liquiditätshilfen abfangen. Sie müssen deshalb mit einem Rettungsschirm für Stadtwerke ein klares Signal setzen. Die im Koalitionsvertrag des Bundes und des Landes angestrebte Energiewende in vielen Be-reichen von Wirtschaft und Gesellschaft ist ohne die dezentralen Versorgungsstrukturen der Stadtwerke nicht umsetzbar.
- Die Gasbeschaffungsumlage muss für alle Vertragskonstellationen und Tarife in der Gasversorgung gelten, insbesondere für Festpreisverträge und den Bereich der Fernwärme. Die Umsetzung der Gas-Umlage stellt die Stadtwerke vor erhebliche Herausforderungen. Der Vorstand weist mit Nachdruck darauf hin, dass praktikable Fristen notwendig sind und die offenen Fragen zur Mehrwertsteuer und den Festpreisverträgen schnell geklärt werden müssen. Dies gilt ebenso für die geplante Speicher-Umlage.
- Eine den Verbrauch steuernde Wirkung der Energie- und Verbraucherpreise ist unverzichtbar. Sie darf einerseits nicht ausgehebelt werden. Andererseits dürfen Nachzahlungen und Abschlagszahlungen nicht zur finanziellen Überforderung der Verbraucherinnen und Verbraucher oder zu bedrohlichen Belastungen im Wohnungsmarkt oder in der Wirtschaft führen. Der Vorstand hält es angesichts der anstehenden enormen Preiserhöhungen für Strom und Gas für die kommenden Jahre für dringend erforderlich, diese Abwägung in die Höhe der geplanten Gas-Umlage einzubeziehen. Die Umlage muss für die Verbraucherinnen und Verbraucher planbar über einen längeren Zeitraum gestreckt werden. Die vorgesehene Möglichkeit, die Höhe der Umlage alle drei Monate anzupassen, bietet keinerlei Planungssicherheit für die Endkunden. Zudem muss die Umlage jederzeit durch staatliche Zuschüsse, vergleichbar der früheren EEG-Umlage, verringert werden können. Der Vorstand fordert die Landesregierung auf, sich hierfür bei der Bundesregierung stark zu machen.
- Für Menschen mit niedrigen Einkommen sind zielgenaue und rechtzeitige Hilfen erforderlich. Hier sehen die Städte den Bund und das Land in der Pflicht, entsprechende Lösungen zu entwickeln und Hilfen aufzulegen. Die Preisspirale bei den Heizkosten trifft die Menschen besonders hart, die einen Großteil ihres Einkommens für existenzsichernde Güter wie Lebensmittel, Mobilität und Energie ausgeben müssen, die aber zu viel verdienen, um einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen zu haben. Die angekündigte Reform des Wohngeldes ist deshalb ein richtiger Schritt, weil sie den Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert. Sie muss jedoch schneller als bislang geplant umgesetzt werden. Unabhängig davon, müssen Wohngeldempfänger durch einen weiteren Heizkostenzuschlag unbürokratisch unterstützt werden, so dass sie steigende Abschläge für die Warmmiete bedienen können. Perspektivisch sollte das Wohngeld um einen dauerhaften, pauschalen Heizkostenzuschuss oder ein Warmmietensystem erweitert werden. Die Einführung eines Warmmietendeckels sollte geprüft werden.
- Familien mit Kindern und niedrigen oder mittleren Einkommen sollten durch eine nochmalige Zahlung von Zuschlägen zum Kindergeld (Kinderbonus) unterstützt werden. Die zielgenaue und unbürokratische Zahlung eines weiteren Kinderbonus kann diesen Familien bei den hohen Lebenshaltungskosten helfen.
- Grundsätzliches Ziel muss es sein, ein System zu schaffen, das die Weltmarktpreise durch strategische Mengen- und Preismechanismen reguliert, um zu verhindern, dass steigende Marktpreise ungebremst bei den Endkunden ankommen.
- Es ist absehbar, dass die Städte durch die aktuelle energiepolitische Lage auch längerfristig finanziell stark belastet sein werden. Bund und Länder müssen Unterstützungsmaßnahmen etablieren, damit die kommunale Handlungsfähigkeit erhalten bleibt.